Neuwirths Blog

29.04.2009, 13:48
Gleich 23:00 Uhr...

...und morgen in Innsbruck ein hoffentlich gutes Konzert zum Aprilende. Will noch schnell diese seltsam demütige Regung, die mich mit einemmal befällt, festhalten: Mein Sohn Vinzenz steht gerade unmittelbar vor der Matura und wird womöglich sogar einen Vorzug schaffen. Einfach so. Und das in der Popper-Schule! Unfassbar. Nach längerem Überlegen bin ich mir letztlich aber trotzdem ziemlich sicher: Das Kind ist von mir.

Und da fällt mir diese kleine Begebenheit ein, als der Bub erst ungefähr sieben Jahre alt war... Wir hatten einen Urlaub gebucht. Es war ungeplant und plötzlich. Nach Irgendwo. Ganz spießbürgerlich sollte es sein. Um nichts kümmern müssen. Hauptsache Sandstrand. Last Minute quasi und ein Billigstangebot: Eine Woche Menorca mit Hausmeisterclub (besoffene Engländer, Deutsche und Österreicher). Eigentlich ja ein Albtraum, besonders die Animateure, aber sich einmal so richtig als unmündige Touristenmade vollgefressen am Strand zu räkeln...

Da war ein Straßenbahnkutscher aus Kagran. Und der meinte, mein Sohn und ich sollten doch beim Bogenschießen mitmachen, da gäbe es einen Wettbewerb mit Urkunde für den Sieger. Ich kam irgendwie nicht aus, also gingen wir hin. Unter schattigen Olivenbäumen wartete schon eine ganze Schar. Der Animateur stellte die Scheibe lächerlich nahe auf und ich sah auch sofort, dass die Leute keine Ahnung hatten von Pfeil und Bogen. Sogar Vinzenz schoss sie alle in Grund und Boden. Ich setzte mühelos jeden Schuss ins Schwarze. Bald waren nurmehr der Straßenbahner und ich übrig. Jeder hatte nun drei Schuss, bei deren letztem sich der Sieger zeigen sollte. Die Augen meines kleinen Sohnes leuchteten voller Stolz, als schließlich auch mein vorletzter Schuss im Schwarzen saß. Die Pfeile des anderen steckten irgendwo am Rand. Doch dann nahm ich es zu leicht und konzentrierte mich nicht mehr richtig. Mein letzter Schuss ging daneben, während mein Kontrahent zwar nicht in die Mitte, aber viel besser traf. Es war ja auch egal. Na gut, der Bub war etwas zornig. Ich sagte ihm, dass ich halt ein Idiot sei und nicht aufgepasst hätte. Hat halt unser Freund, der Straßenbahner, gewonnen. Ist doch ein lieber Mensch, sagte ich, soll er seine Freude haben.

Am nächsten Tag jedoch stand der Bogenschütze vor der Tür und überreichte mir die Siegerurkunde. "Die gehört dir," sagte er, "denn du hast ja viel besser geschossen als ich. Ich hab das Gesicht von dem Buben gesehen." Der Mann hatte die ihm zustehende Urkunde auf meinen Namen ausstellen lassen. Er dachte, dass das die Reputation gegenüber meinem Sohn wiederherstellen würde. (Der weigerte sich natürlich, die Urkunde anzuerkennen. Ich hatte einfach übersehen, wie tief enttäuscht der Kleine war. Heute weiß ich, wie viel an verschwiegenem Ehrgeiz in Kindern stecken kann.)

Die Geste dieses einfachen Wiener Urlaubers aber ist es, die mich rührt, heute noch, wie jetzt gerade, wo mir die Geschichte wieder in den Kopf kommt. Ich habe den Herrn nie wieder gesehen. Schade. Ich könnte ihm heute erzählen, wie sich mein Sohn gemausert hat und wie gescheit er ist. Es hätte ihn sicher gefreut. Ihn, der wie unsereins aus dem Gemeindebau kommt und dem größere Perspektiven immer verwehrt blieben. Der mitansehen muss, wie der Stand der Sozis verludert. Wie alles sowieso den Bach hinuntergeht. Nicht einmal einen Urlaub auf Menorca wird er sich mehr leisten können. Niemand mehr. Auch nicht einer, der mit der Matura aus der Schule kommt. Der wird heute auch schauen müssen wo er bleibt. "Pass auf den Buben auf!" würde er vielleicht zu mir sagen und dabei nachdenklich sein eigenes Leben Revue passieren lassen - ohne Matura. Wenn man die Matura für sein Herz bekäme - er hätte sie mit Bravour bestanden.